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11. Juni 2023

Was ist Diversität?

  • Diversität

Geschätzte Lesedauer: ca. 4 Minuten

Der Begriff ist gerade in aller Munde und gehört zum Zeitgeist wie das Gendern in der Sprache. Aber was bedeutet Diversität eigentlich?

Übersetzt meint Diversität erst einmal nichts anderes als Vielfalt. Das ist weit gefasst – nähern wir uns einmal an. Die Charta der Vielfalt (eine Arbeitgebendeninitiative zur Förderung von Vielfalt in Unternehmen und Institutionen) beschreibt die Dimensionen von Diversität in einem Modell, in dem die Persönlichkeit eines Menschen im Zentrum steht. Um sie herum reihen sich die Kerndimensionen wie Geschlecht, Alter, Religion, ethnische und soziale Herkunft, sexuelle Orientierung und körperliche wie geistige Fähigkeiten. Dann kommt die äußere Ebene, in der es u. a. um Einkommen, Ausbildung, Familienstand und Freizeitverhalten geht.

Wenn wir bei MINTvernetzt von Diversität sprechen, dann verstehen wir darunter die Sichtbarmachung und Wertschätzung gesellschaftlicher Vielfalt. Alle Menschen sollen Anerkennung und Wertschätzung erfahren, völlig unabhängig von Geschlecht, Alter, Glaube, Herkunft, Hautfarbe und körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. Es geht also um einen bewussteren Umgang mit Vielfalt – denn de facto ist die Gesellschaft ja schon divers. In ihr leben ganz unterschiedliche Menschen, keine:r ist gleich, jede:r bringt unterschiedliche Erfahrungen mit. Gleichzeitig umfasst unser Verständnis von Diversität die Anerkennung gemachter sozialer Ungleichheit. Dagegen möchten wir uns bei MINTvernetzt starkmachen und Veränderungsprozesse mitinitiieren.

Denn nicht alle haben dieselben Chancen. Wer mit seinen Merkmalen der Dominanzgesellschaft angehört, hat etwa bessere Möglichkeiten in Bezug auf Bildung oder beruflichen Aufstieg. Ein Beispiel: In Deutschland erlebt ein weißer, christlich sozialisierter Cis-Mann mittleren Alters ohne Behinderungen kaum Ablehnung oder Diskriminierung hinsichtlich seiner Zugehörigkeiten – weil er der dominanten Gruppe angehört. Ein nicht weißer Mensch, einer anderen Religion als der christlichen angehörend und mit einer körperlichen Behinderung erlebt in Deutschland auf mehreren Ebenen Diskriminierungen. Die kritische Betrachtung von Mehrfachdiskriminierungen und Mehrfachprivilegierungen wird unter dem Begriff „Intersektionalität“ zusammengefasst. Die Diskriminierung verstärkt sich also, wenn sie mehr als eine Dimension hat.

Sensibilität ist gefragt

Vielfalt ist eine gesellschaftliche Tatsache – Diskriminierung auch. Die erste Frage, die sich jeder Mensch deshalb stellen könnte, wäre: Will ich eine faire und gerechte Gesellschaft? Und wenn ja, was kann ich dafür tun? Dazu gehört unter anderem, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen und ein Bewusstsein für die eigene gesellschaftliche Position zu entwickeln. Bewerte ich das Verhalten von einer weißen und einer Schwarzen[1] Person gleich – oder beobachte ich da Unterschiede in meinen Bewertungen? Sich Ungleichbehandlung in unserer Gesellschaft bewusst zu machen, kann auch damit beginnen, sich mit den eigenen Privilegien zu beschäftigen. Und zu sehen, welche strukturellen Hürden Menschen im Alltag diskriminieren und welche durch diese Strukturen bevorzugt werden. Diese Sensibilität ist auch deshalb wichtig, damit marginalisierte Menschen zusätzlich zu Diskriminierungserfahrungen nicht auch noch kostenlose, emotional anstrengende Bildungsarbeit für die privilegierte Gruppe leisten müssen. Eine diskriminierungssensible Haltung zeigt sich an dieser Stelle durch die Übernahme von Verantwortung auf Seiten der privilegierten Gruppe. Zum Beispiel wenn weiße Menschen, heterosexuelle Menschen, Cis-Männer oder nicht behinderte Menschen sich aktiv selbst informieren und nicht die marginalisierte Gruppe als „Diskriminierungs-Lexikon“ nutzen.

Was ist Diskriminierung?

Wer Ungleichbehandlung oder Benachteiligung erfährt, weil er oder sie nicht der dominierenden Gruppe entspricht, wird diskriminiert. Diskriminierung wirkt auf vielen Ebenen. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz stehen sechs Gründe für Diskriminierung: ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität.

Dabei ist es unbedingt notwendig, dass unsere Gesellschaft allen Menschen die gleichen Chancen einräumt, denn Vielfalt wird dringender gebraucht denn je. Nur wer die Sichtweisen und Herausforderungen aller mitdenkt, kann Lösungen für die Zukunft finden und Innovationen entwickeln, die allen weiterhelfen. Dazu braucht es die Erfahrung, Perspektiven und Denkweisen von unterschiedlichen Menschen. Gerade in Bezug auf den Fachkräftemangel wird es perspektivisch wichtig werden, alle Menschen im Arbeitsmarkt mitzunehmen und eine Willkommenskultur in Unternehmen und Organisationen zu schaffen und zu erhalten. Der „Erfolgsfaktor Vielfalt“ lässt sich sogar beziffern: Die Wirtschaftsberatung McKinsey hat in der Studie „Diversity Wins – How Inclusion Matters“ herausgefunden, dass Unternehmen mit hoher Gender-Diversität eine um 25 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Ist die Vorstandsebene ethnisch vielfältig, liegt der Wert sogar bei 36 Prozent.[2]

Bei Diversität in Unternehmen oder Behörden schaut man sich an, wie vielfältig die Verteilung an Fähigkeiten, Herkunft, Alter und Geschlecht ist mit dem Ziel, dass alle Mitarbeitenden ihr volles Potential in einem wertschätzenden Umfeld ausschöpfen können. Um das voranzutreiben, gibt es in vielen Personalabteilungen der Unternehmen und Behörden mittlerweile Diversitätsmanager:innen. Diese Entwicklung ist noch recht jung, erstmals starteten in den 1990er Jahren US-Firmen wie Ford solche Programme.

Diskriminierung betrifft jede:n

Wir gestalten unsere Gesellschaft. Wir entscheiden, wie wir unserem Gegenüber begegnen, sei es als Institution, Gruppe oder Individuum. Neben institutionellen Verpflichtungen, vor Diskriminierung zu schützen und Gleichbehandlung zuzusichern, haben wir als Einzelpersonen in jeder sozialen Situation die Wahl: Wende ich mein Wissen über Diskriminierung an oder nicht? Möchte ich einen Schritt zur Lösung beitragen oder zur Problemerhaltung? Übrigens gibt es eine Diskriminierung, die einen unweigerlich treffen wird – unabhängig von Merkmalen wie Geschlecht, Religion und (zugeschriebener) Herkunft: die des Alters. Hierzu gehört auch die Diskriminierung gegenüber Kindern und Jugendlichen: Adultismus und Altersdiskriminierung. Letzteres ist geprägt von Vorurteilen und Stereotypen gegenüber Menschen, die älter sind. So ist es für viele Menschen über 50 Jahre nicht mehr so einfach, einen neuen Job zu finden. Ihnen wird schlichtweg unterstellt, nicht mehr das gebrauchte Knowhow zu haben oder nicht mehr ins jüngere Team zu passen. Um vielfältige Zielgruppen und Bedürfnisse bedienen zu können, brauchen wir in allen Bereichen die Repräsentanz unserer Gesellschaft. Dazu gehören auch die Perspektive und die Expertise von älteren Menschen.

Diversität bedeutet, alle mitzunehmen, niemanden auszuschließen. Wer Menschen bewusst wertschätzend und anerkennend begegnet, trägt aktiv zu einer Gesellschaft der Gerechtigkeit bei.

Diversität ist, wenn Anerkennung sichtbar wird.


[1] https://www.zdf.de/kinder/logo/sprache-gegen-rassismus-100.html.

[2] https://www.mckinsey.de/news/presse/2020-05-19-diversity-wins.