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12. Februar 2024

Inklusive MINT-Bildung: Menschen mit Behinderung diskriminierungsfrei ansprechen

  • Diversität
  • Gute Praxis

Wie verbessern wir die MINT-Bildungschancen für Menschen mit Behinderungen? Ein Aspekt ist die passende Ansprache. In diesem Beitrag zeigen wir Euch, wie Ihr Eure Bildungsangebote inklusiver gestalten könnt, um sie für alle besser zugänglich zu machen.

Eine Grafik verdeutlicht nichts, wenn sie nicht gesehen wird. Ein Text transportiert nichts, wenn er nicht gelesen wird. Und der beste Workshop ist wertlos, wenn ihn die Teilnehmer:innen nicht erreichen. Doch mitunter scheitert die Teilhabe an MINT-Bildungsangeboten nicht am Wollen, sondern an fehlenden Zugangsmöglichkeiten. Das verwehrt den Zugang zu diesen Angeboten, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, und führt so zu ungleichen Bildungschancen. Um das zu ändern, sollten (MINT-) Bildungsangebote daher inklusiv und barrierefrei sein.

1 Definition: Wer behindert hier wen?

In Deutschland haben knapp 13 % der Menschen eine Behinderung.1 Inwiefern eine Behinderung sichtbar ist und inwiefern mit welchen Vorurteilen und Diskriminierungen (siehe Ableismus in unserem Glossar zum Thema Diversität) Menschen mit Einschränkungen konfrontiert sind, ist sehr unterschiedlich.

Behinderungen sind vielfältig und können physische, sensorische, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen mit sich bringen. Und sie sind ein soziales Konstrukt: Menschen sind nicht behindert, sondern werden durch Barrieren oder Vorurteile behindert gemacht, anstatt ihre Vielfalt und Lebensrealität anzuerkennen.

Wie Ihr mit Hilfe von Sprache für Barrierefreiheit sorgt und inklusive Bildungsangebote schafft, zeigen wir Euch im Folgenden.

2 Inklusive Sprache: So funktioniert es wirklich

Eine inklusive und diskriminierungsfreie Sprache schafft eine Kommunikations- und Beziehungsebene, die alle Menschen anspricht und anerkennt. Darauf könnt Ihr achten:

2.1. Personenzentrierte Sprache verwenden

Ein wesentlicher Schritt ist die Anwendung personenzentrierter Sprache, auch bekannt als People-first- oder Human-first-Sprache. Hierbei steht der Mensch im Mittelpunkt, nicht seine Behinderung, denn sie ist nur eins von vielen Merkmalen, die eine Person ausmachen. Dadurch verhindert Ihr, dass ein Bild einer scheinbar fest definierten Gruppe entsteht.

Beispiele für die Praxis:
• „Mensch mit Behinderung“ statt „behinderter Mensch“
• „Mensch mit Pflegebedarf“ statt „Pflegefall“

Diese Art der Ausdrucksweise betont, dass eine Behinderung lediglich eine Facette der Person ist und nicht ihre Identität definiert. Sofern sie keine Relevanz hat, muss sie auch gar nicht benannt werden.

Genauso gilt: Menschen können individuelle Vorlieben haben, welche Sprache für sie angemessen ist. Wenn Ihr unsicher seid, fragt nach.

2.2. Auf Abwertende Begriffe verzichten

Um inklusive Kommunikation zu fördern, ist es wichtig, abwertende oder stigmatisierende Begriffe zu vermeiden, die Menschen beleidigen oder in die Opferrolle drängen. Nutzt stattdessen die Selbstbezeichnungen, die Menschen für sich gebrauchen und neutrale Alternativen.

Beispiele für die Praxis:
• „ein Mensch lebt mit Behinderung“ statt „an einer Behinderung leiden“
• „fährt mit einem/benutzt einen Rollstuhl“ statt „an den Rollstuhl gefesselt sein“

2.3. Übersteigerte Aufwertung vermeiden

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. So ist es besser, eine Aufwertung zu vermeiden, da sie Menschen mit Behinderungen in unangemessene Heldenrollen drängen kann. Statt Menschen mit Behinderungen zu idealisieren, sollten sie als Individuen respektiert werden und ihre Leistungen anerkannt werden.

Beispiele für als übersteigerte Aufwertung wahrgenommene Aussagen:
• „eine Behinderung meistern“
• „trotz Behinderung aktiv sein“
• „inspirierender Lebensmut“

2.4. Sprachstufe bewusst wählen

Einfache, leichte und leicht verständliche Sprache sind verschiedene Stufen der sprachlichen Anpassung. Sie helfen Texte oder Gesagtes verständlicher zu machen und Informationen und Angebote zugänglich zu machen. Die Wahl der passenden Sprachstufe sollte stets auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmt sein.

Einfache Sprache soll vorwiegend Menschen mit niedriger Lesekompetenz oder mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache erreichen und orientiert sich an der Sprachstufe B1. Es gibt keine festen Regeln für einfache Sprache, aber sie hat kurze Sätze – Nebensätze grundsätzlich erlaubt, einen einfachen Satzbau, vermeidet Fremdwörter und wird im Fließtext geschrieben.
Leichte Sprache richtet sich unter anderem an Menschen mit Behinderungen. Sie orientiert sich an den Sprachstufen A1 und A2, verwendet sehr kurze Sätze, einfache Worte und unterstützende Bilder, um den Inhalt zu verdeutlichen. Jeder Satz enthält nur eine Information, danach folgt ein Zeilenumbruch.
Leicht verständliche Sprache ist eine Art Kompromiss zwischen Verständlichkeit und detaillierten Informationen. Obwohl sie keine starren Regeln hat, sind die Inhalte immer klar strukturiert, die Sätze eindeutig und die Worte gut verständlich.

2.5. Formatierung von Schriftstücken

Die Wahl der richtigen Worte ist ein Aspekt – ihre Darstellung kann das Verstehen maßgeblich erleichtern. Tipps für die Darstellung schriftlicher Informationen:

Schriftarten: Klare, serifenlose Schriftarten sind besser lesbar. Kursive Schrift ist nicht barrierefrei.
Zeilenabstand und Zeichengröße: je größer, desto besser.
Struktur: Nutzt Zwischenüberschriften, Absätze und Listen zur Textstrukturierung, um das Verständnis zu erleichtern.
Bilder und Grafiken: Fügt Bilder und Grafiken hinzu, um Inhalte zu verdeutlichen. Hilfreich sind erklärende Untertitel oder Alternativtexte. Ein guter Alternativtext beschreibt ein Bild präzise, ohne Spielraum für Interpretation.
Farben und Kontraste: Achtet auf hohen Kontrast zwischen Inhalt und Hintergrund und vermeidet Rot-Grün-Farbkombinationen (ca. 8 % der in Europa lebenden Männer haben eine Rot-Grün-Schwäche2).

3 Wie können wir Barrieren abbauen?

Eine barrierefreie Teilhabe ist ein weiterer wesentlicher Aspekt für den gleichberechtigten Zugang zu Bildung. Doch wie erreicht Ihr sie? Wir haben die wichtigsten Punkte für Euch zusammengefasst.

3.1 Zwei-Sinne-Prinzip

Das Zwei-Sinne-Prinzip ist eine bewährte Methode, um Bildungsinhalte besser zugänglich zu gestalten. Informationen sollten nicht nur über einen, sondern über mindestens zwei der drei Sinne Hören, Sehen und Tasten vermittelt werden.

In der Praxis bedeutet das:
• Was nicht gesehen wird, kann ertastet oder erzählt werden, etwa mittels Audiodeskription.
• Was nicht gehört wird, kann gesehen oder gelesen werden, etwa mit Untertiteln.

Dieses Lern-Prinzip hilft nicht nur Menschen mit Sinnesbehinderungen, sondern fördert die Verständlichkeit für alle.

3.2 Lernmaterialien – in Papierform und digital

Lernmaterialien sollten in verschiedenen Formaten bereitgestellt werden – beispielsweise als Ausdruck und digital, um Schüler:innen mit unterschiedlichen Bedürfnissen eine angemessene Vorbereitung zu ermöglichen. Als Ergänzung zu Arbeitsblättern kann auch ein Ton- oder Videomitschnitt angeboten werden, um die Lerneinheit für die Nachbereitung zugänglich zu machen.

3.3 Tools, die Euch die Arbeit erleichtern

Einige digitale Hilfsmittel machen MINT-Bildung inklusiver und besser zugänglich. Mithilfe von myAbility* haben wir für Euch ein paar Beispiele gesammelt. Im beigefügten PDF sind Kriterien aufgeführt, die für die Tool-Auswahl eine Rolle spielen können.

• Konferenzen: Zoom und Microsoft Teams sind besonders barrierefrei.
• Text: JAWS oder VoiceOver (für Apple-Produkte) lesen Text von Websites vor. Das Tool Pages kann Text in einem individuell angepassten Format darstellen.
• Video: Dienste wie Rev oder Amara erstellen Untertitel für Videos. Auch Youtube hat eine Untertitelungs- und Transkriptfunktion.

Weiterführende Links zum Thema:

  • Beispiele für Leichte Sprache und Textgestaltung: https://www.leichte-sprache.org/wp-content/uploads/2017/11/Regeln_Leichte_Sprache.pdf
  • Regeln und Beispiele für Leichte Sprache: https://inklusiv.online/ratgeber/leichte-sprache-regeln-fuer-verstaendliche-texte/
  • Begriffe über Behinderung: https://leidmedien.de/begriffe-ueber-behinderung-von-a-bis-z/
  • Beispiele für diskriminierungsfreie Formulierungen und Begriffe: https://leidmedien.de/wp-content/uploads/2019/12/Leidfaden2019.pdf

Quellen:
1 Mikrozensus | REHADAT-Statistik.
2 Jennifer Birch: Worldwide prevalence of red-green color deficiency (2012): Journal of the Optical Society of America A, Vol. 29, Issue 3, pp. 313–320. https://doi.org/10.1364/JOSAA.29.000313.

*myAbility Social Enterprise unterstützt seit 2009 Unternehmen auf dem Weg zu einer inklusiven Unternehmenskultur und betreuen das größte deutschsprachige Unternehmensnetzwerk Europas zum Thema Inklusion. Das Ziel von myAbility ist eine chancengerechte und barrierefreie Gesellschaft.