zur Übersicht
17. Januar 2022

MINT-Fachrichtungen sind die Wissenschaften des Alltags

  • Didaktik

Geschätzte Lesedauer: ca. 5 Minuten

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt der TU Dresden „Außerschulische Lernorte in der Lernlandschaft Sachsen“ entwickelt unter anderem Konzepte zu untypischen Lernorten, die Potential für MINT-Lernen aufweisen. Ihre Erkenntnisse teilten die Wissenschaftler:innen beim Didaktik-Tag der MINT-Aktionswoche.

Wie funktioniert die alkoholische Gärung im Weinkeller, welche Technik steckt hinter den Tiefkühltruhen im Supermarkt – und was braucht es an Ausrüstung, um die Arbeitsbedingungen mit hohen Temperaturen, lauten Geräuschen und gefährlichen Gasen im Bergbau zu bewältigen? Fragen aus dem echten Leben, die im schulischen Unterricht eine Rolle spielen können. Noch anschaulicher aber ist es, wenn sie nicht im Klassenzimmer, sondern vor Ort besprochen werden. Also da, wo Wein tatsächlich hergestellt wird. Dort, wo Menschen einkaufen gehen und unter Tage arbeiten.

Für die Motivation von Schülerinnen und Schülern kann es ein echter Gewinn sein, wenn sie den Praxisbezug ihrer Lerninhalte live erleben. Wenn sie verstehen, dass es im echten Leben von Physik, Chemie, Biologie und Informatik nur so wimmelt. Davon sind Paul Böning und Darius Mertlik überzeugt. Beide sind wissenschaftliche Mitarbeiter an der Technischen Universität Dresden. In ihrem interdisziplinären Forschungsprojekt „Außerschulische Lernorte in der Lernlandschaft Sachsen“ arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Fachrichtungen Geografie, Chemie, Physik und Deutsch. Gemeinsam entwickeln sie Konzepte zu Lernorten, die Potentiale für MINT-Lernen aufweisen. Schwerpunktmäßig schaut sich das Forschungsprojekt die Lernorte in zwei ausgewählten Regionen Sachsens an: in der Oberlausitz und dem Erzgebirge. Diese sind seit jeher stark vom Bergbau geprägt.

Unser Alltag steckt voller Chemie, Physik und Informatik

Im Spül- und Waschmittel steckt Chemie. An der Straßenecke kann man mit naturwissenschaftlichen Methoden die Schadstoffbelastung messen. In allem, was uns umgibt, mit dem wir täglich unser Leben bestreiten, stecken Technik und Naturwissenschaften. Selbst hinter der Kundenkarte, mit der wir an der Kasse Punkte sammeln, verbirgt sich ein Algorithmus, der programmiert werden muss. Keine Frage: Die MINT-Fachrichtungen sind die Wissenschaften des Alltags. „Schülerinnen und Schüler sollten Naturwissenschaften idealerweise multiperspektivisch wahrnehmen können, damit sie die Zusammenhänge zum echten Leben herstellen. Deshalb ist es lohnenswert, wenn sie die Möglichkeit haben, MINT an außerschulischen Lernorten kennenzulernen“, sagt Paul Böning.

Was sind MINT-untypische Lernorte?

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollten im Workshop diskutieren, welche außerschulischen Lernorte mit MINT-Fachbezug auf der Hand liegen: Es ist zum Beispiel die Feuerwache für das Fach Chemie, es sind Sternwarten und Kraftwerke für Physik sowie botanische Gärten für Biologie. Aber: Was sind überhaupt MINT-untypische Lernorte? „Der Besuch eines Kunstmuseums ist auch aus naturwissenschaftlicher Perspektive interessant. Zum Beispiel kann die Klimatechnik des Museums untersucht werden: Warum benötige ich überhaupt eine Klimatisierung? Warum schadet eine hohe Luftfeuchtigkeit – und was ist überhaupt Luftfeuchtigkeit? Oder man untersucht Kunstwerke mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden: Ist das Kunstwerk so alt, wie es zu sein scheint, oder ist es eine Fälschung?“, erklärt Paul Böning. Das Kino ist auch ein Beispiel für einen MINT-untypischen Lernort, um im Fach Chemie zu klären, welche Aromen und Düfte es dort gibt. Im Fach Physik könnte man sich anschauen, wie sich die Filmtechnik in den letzten hundert Jahren entwickelt hat und wie man ein Bild auf die große Leinwand projiziert. Darius Mertlik und Paul Böning sind sich sicher, dass im Grunde jeder Ort des gesellschaftlichen Lebens Potential für MINT-Bildung hat, solange ein Bezug zum Unterricht hergestellt werden kann. Und gerade zur Berufsorientierung empfiehlt es sich, mit Schülerinnen und Schülern einmal eine Bäckerei, eine Apotheke oder einen Friseurladen als außerschulischen Lernort zu besuchen. Der Bergbau ist indes ein ideales Beispiel für einen MINT-untypischen Lernort, an dem man fächerübergreifende Zusammenhänge verstehen kann. Und: Durch das Lernen vor der Haustür kann zusätzlich regionale Identität gestiftet werden.

Lernorte für Lehrkräfte präsenter machen

Um die Lernorte für Lehrkräfte in der Umgebung präsenter zu machen, hat das Forschungsprojekt der TU Dresden eine Lernlandkarte für Sachsen eingerichtet. Lehrerinnen und Lehrer können hier nachsehen, welche außerschulischen Lernorte es in der Region gibt und ob diese zu Klassenstufe und Schulfach passen. Eine Herausforderung bleibt, wie man die Lehrkräfte dazu motivieren kann, die Schule mit der Klasse öfter zu verlassen. Lehrerinnen und Lehrer sagten häufig, dass dies nur dann möglich sei, wenn der Lernort zu ihrem Lehrplan passe. „Wir müssen herausarbeiten, dass wir Lehrplaninhalte sehr gut an außerschulischen Lernorten zeigen können“, sagt Darius Mertlik. Deshalb entwickelt das Forschungsprojekt gerade ein entsprechendes Fortbildungskonzept für Lehrkräfte.

Wer mehr dazu lesen möchte, findet weitere Informationen unter: www.tu-dresden.de/zlsb/forschung-und-projekte/tud-sylber