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09. Februar 2022

Den eigenen Lernort empirisch erforschen

  • Didaktik

Geschätzte Lesedauer: ca. 4 Minuten

Die Arbeitsgruppe „Didaktik der Physik und Wissenschaftskommunikation“ der Universität Oldenburg hat ein Tool entwickelt, mit dem Betreibende außerschulischer Lernorte herausfinden können, wie ihr MINT-Angebot bei der Zielgruppe ankommt. Ihre Erkenntnisse stellten Dr. Christin Sajons und Prof. Dr. Michael Komorek am Didaktik-Tag der MINT-Aktionswoche vor.

Die Experimente kommen prima an, der Lernort läuft gut. Aber hat er sein Potential wirklich ausgeschöpft? Und welche Lerninhalte könnten besser rübergebracht werden? – Wer einen außerschulischen Lernort für MINT wie etwa ein Schülerlabor oder ein Science Center leitet, kennt diese Fragen wahrscheinlich nur zu gut. Man würde gerne wissen, wie das Lernangebot von der Zielgruppe genutzt wird und welche Lernprozesse angeregt werden können. Und natürlich auch, ob die Schülerinnen und Schüler hinterher verstanden haben, was ihnen vermittelt werden sollte, und welche Fähigkeiten sie aufbauen konnten. „Wir stellten uns die Frage, wie außerschulische Lernorte ihre eigenen Angebote aus unterschiedlichen Perspektiven wahrnehmen und die ablaufenden Prozesse besser verstehen können“, sagt Christin Sajons von der Universität Oldenburg. Michael Komorek fügt hinzu: „Unser Tool ist dafür da, außerschulische MINT-Anbietende dazu zu befähigen, in eine forschende Rolle zu kommen, um mehr an ihrem Lernort wahrzunehmen.“ Michael Komorek und Christin Sajons gehören zur Arbeitsgruppe „Didaktik der Physik und Wissenschaftskommunikation“ an der Universität Oldenburg, die auch Physiklehrkräfte ausbildet. Zu dem Tool kam es, als sich Christin Sajons für ihre Doktorarbeit mit einigen der rund 400 Schülerlaboren beschäftigte. Es ist in einem Projekt der Schülerlaborforschung für den Einsatz in der Praxis entwickelt worden. Daraus ist eine Handreichung entstanden, die Christin Sajons auf Anfrage verschickt. Im Tool werden bestimmte Vorgehensweisen wie konkrete Beobachtungsaufträge, kleine Gesprächsleitfäden für kurze Interviews mit Schüler:innen und Diskussionsfragen bereitgestellt. Also, wie funktioniert es im Detail?

Das erste Instrument: das Angebot reflektieren und aus der Distanz kollegial begleiten

Der Lernortbetreibende soll zurücktreten und das Lernangebot gemeinschaftlich kritisch reflektieren. Das geht beispielsweise mit einer Kollegin oder einem Kollegen, die oder der das Angebot begleiten. Hinterher kommt man – möglicherweise auch als Gruppe – ins Gespräch und reflektiert. Das Tool bietet verschiedene zentrale Fragestellungen:

  • Was ist mein spezielles Angebot, was sind meine Ziele?
  • Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sollen die Schüler:innen entwickeln?
  • Welche Potentiale bietet mein Lernort und inwieweit nutze ich sie?
  • Was macht mein Lernangebot attraktiv und wohin kann es weiterentwickelt werden?

„Die Antwort lautet natürlich immer: für MINT begeistern. Aber was meint das im Detail? Unsere Fragen sollen zum Nachdenken anregen“, sagt Christin Sajons.

Das zweite Instrument: mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch kommen

Hier geht es darum, einmal nicht als Dozent:in oder Wissensvermittler:in zu agieren, sondern das eigene Lernangebot aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler zu erleben – und dabei mit der Schülergruppe begleitend ins Gespräch zu kommen. „Man könnte also für einen Tag Teil der Gruppe sein und die Schüler:innen während der Aufgaben fragen: ‚Was machst du gerade und wozu?‘ oder auch ‚Was hat das denn jetzt mit dem Tagesthema zu tun?‘“, sagt Christin Sajons. Man könne aber auch als ‚stilles Mäuschen‘ mitlaufen und nur beobachten. Eine Frage, die man sich dann stellen könnte, wäre etwa: ‚Wird mit den Schülerinnen und Schülern über die Ziele gesprochen?‘ Hinterher kann man folgende Fragen reflektieren:

  • Inwieweit nehmen die Schüler:innen die Problemlösung als relevant wahr?
  • Was motiviert und demotiviert sie?
  • Wie bewerten sie Selbstbestimmung und Interaktivität während des Lernangebots?
  • Wie steht es um die soziale Eingebundenheit der Teilnehmenden?

Das dritte Instrument: Schülerinnen und Schüler nach dem Lernangebot interviewen

„Auf simple Fragen können komplexe Antworten kommen. Kinder geben sehr reflektiert Rückmeldung – und sie haben auch häufig Lust, an einem Interview teilzunehmen“, sagt Christin Sajons. Die Idee ist es, die Schülerinnen und Schüler im Interview reflektieren zu lassen, was sie in den letzten Stunden erlebt haben. Mögliche Interviewfragen sind:

  • Was hättest Du gerne mehr selbst bestimmen wollen?
  • Was war schwieriger als im Schulunterricht?
  • Was hat Dir Spaß gemacht, was nicht so sehr?
  • Warum hat es Dich motiviert, das Solarboot zu bauen?

Das vierte Instrument: das Lernangebot gemeinschaftlich weiterentwickeln

Zum Schluss geht es im vierten Instrument darum, die Erkenntnisse der ersten drei Runden zusammenzufassen – und das Angebot daraufhin gemeinsam weiterzuentwickeln, indem man sich folgende Fragen stellt:

  • Worin weichen unsere Erwartungen von der Wahrnehmung und dem Erlernten der Schülerinnen und Schüler ab?
  • Inwieweit unter- oder überschätzen wir die Potentiale, die in unserem Angebot stecken?
  • Wie beeinflussen bestimmte Merkmale unseres Angebots die ablaufenden Denk- und Lernprozesse?

Gerade wird das Tool, mit dem sich Lernorte selbst empirisch erforschen können, von der Arbeitsgruppe der Universität Oldenburg im Detail weiterentwickelt und bald veröffentlicht. Bis dahin wird die Handreichung von Christin Sajons verschickt: christin.marie.sajons@uol.de.